Inneneinrichtung: Berliner Architekt entwirft "Hartz-IV-Wohnung"
Am beliebtesten ist der „24-Euro-Sessel“. Das schicke Gestell ist aus einem einzigen Kiefernbrett getischlert, das es in jedem Baumarkt gibt. Aber auch der minimalistische „Berliner Hocker“ steht bei Kunden hoch im Kurs: schön platzsparend und als Regal oder Trennwand nutzbar – „so ein Multifunktions-Ding“, sagt Le Van Bo.
Der junge Berliner Architekt mischt gerade die Welt von Möbel und Interieur mit einem unkonventionellem Projekt auf: der „Hartz-IV-Wohnung“. Mit wenigen Euro und einfachen Mitteln können sich arme Bürger neuerdings ein Designer-Zuhause herrichten, das sich wie ein Appartement mindestens der gehobenen Mittelschicht anfühlt. Wie das geht, zeigt Van Bo jetzt in einer Ausstellung im Betahaus in Kreuzberg.
Maximale Lebensqualität für wenig Geld
In dem Bürohaus für Kreative hat der 34-Jährige seine „Hartz-IV-Wohnung“ aufgebaut. Interessierte können das Musterquartier vom 2. bis 5. Juni anschauen. „Die Idee ist, auf engstem Raum maximale Lebensqualität zu schaffen“, sagt Van Bo. Sessel seien meist zu klobig, sein 24-Euro-Exemplar findet dagegen auch in einer beengten Einzimmer-Wohnung Platz. Auf dem Sofa kann man auch schlafen, und der „Berliner Hocker“ passt in jede Ecke.
Alle Möbel der „Hartz-IV-Wohnung“ sind zum Selberbauen – 1800 Baupläne hat Van Bo schon an Interessierte verschickt. Er selbst sei „leidenschaftlicher Bauhaus-Fan und Möbelsammler“.
Die Anfragen für Baupläne kämen hauptsächlich von Arbeitslosen, Rentnern sowie von finanziell schwach gestellten Studenten und Akademikern, berichtet der Architekt. „Was alle eint, ist wenig Geld und viel Geschmack." Auch wollten die Wenigsten auf ihrem neuen Stuhl einfach nur sitzen.
„Die Motivation ist meistens sozialer Natur“, sagt Van Bo, der hauptberuflich für eine Berliner Kreativagentur arbeitet. Sägen, dübeln, leimen – auch Arbeitslose wollten Nützliches tun, aktiv sein.
„Arm ist überhaupt nicht sexy“
Van Bo weiß, was Arbeitslosigkeit heißt. Er wuchs im Berliner Wedding auf, seine Eltern waren Ende der 70er-Jahre aus Laos nach Deutschland geflüchtet. Der Vater hangelte sich von Job zu Job, die Mutter verdiente lange Zeit gar kein Geld. „Ich weiß, wie es ist, wenn man Blut spenden geht, damit man sich einen Kinobesuch leisten kann. Arm ist überhaupt nicht sexy“, sagt der 34-Jährige in Anspielung auf den bekannten Ausspruch von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Mit seiner „Hartz-IV-Wohnung“ will Le Van Bo auch etwas gegen das Klischee tun, dass Arbeitslosen meist faul mit einer Flasche Bier vor dem Flachbildschirm dahindämmerten. Unter Deutschlands Hartz-IV-Empfängern herrsche eben nicht nur „spätrömische Dekadenz“, betont er.
Die Gruppe sei heterogener als von Politikern und Medien dargestellt. „Viele Arbeitslose arbeiten ehrenamtlich, oder pflegen ihre kranken Mutter“, sagt Van Bo. Oder sie bauten Möbel für ihre „Hartz-IV-Wohnung“.
Dass Van Bos Einrichtungskonzept bald in Serie geht, ist durchaus möglich. In Berlin ist die Howoge, eine der größten städtischen Wohnungsbaugesellschaften, auf das Projekt aufmerksam geworden. Man sei „begeistert“ von der frischen Idee und habe mit dem Architekten die Einrichtung einer Musterwohnung vereinbart, sagt eine Sprecherin. „Wir hoffen, dass wird auf reges Interesse bei den Mietern stoßen.“
14. März 2003 Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) präsentiert unter dem Titel „Agenda 2010" ein umfassendes Reformprogramm mit Einschnitten in die sozialen Sicherungssysteme. Dazu gehörten Flexibilisierungen beim Kündigungsschutz, Einschnitte beim Arbeitslosengeld und die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Bei Gewerkschaften und SPD-Linken stoßen die Pläne auf massiven Widerstand. 17. Oktober 2003 Mit den Stimmen der rot-grünen Koalition verabschiedet der Bundestag das Gesetz zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz IV). 9. Juli 2004 Nach monatelangem Ringen im Vermittlungsausschuss billigt auch der Bundesrat die Hartz-IV-Reform. Zuvor hat die Bundesregierung den Kommunen weitere Finanzhilfen zugesichert. 1. Januar 2005 Hartz IV tritt in Kraft. Erwerbsfähige Langzeitarbeitslose erhalten anstelle von Arbeitslosen- oder Sozialhilfe das Arbeitslosengeld II. 9. Februar 2010 Das Bundesverfassungsgericht rügt die Hartz-IV-Regelsätze für Erwachsene und Kinder als verfassungswidrig. Es sei intransparent, wie sie zustande kamen. Der Gesetzgeber wird zu einer Neuregelung bis 31. Dezember 2010 aufgefordert. 20. August 2010 Bei einem Treffen mit den Arbeits-, Sozial- und Kultusministern der Länder sowie den kommunalen Spitzenverbänden wirbt Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für ein Bildungspaket, das Kindern aus Hartz-IV-Familien zugutekommen soll. Bedürftige sollen demnach kostenlosen Bildungsangeboten, Freizeitaktivitäten oder Mittagessen besser gefördert werden. Die Ministerin schlägt ein Chipkartenmodell vor, kann es aber nicht durchsetzen. 20. September 2010 Der Referentenentwurf zur Hartz-Reform wird zur Abstimmung an die zuständigen Ministerien geschickt – allerdings noch ohne die Neuberechnung der Regelsätze. Der Entwurf enthält aber das Bildungspaket und sieht die künftige Kopplung der Sätze an Preis- und Lohnentwicklung anstatt wie bislang an die Rente vor. 26. September 2010 Auf Basis von Ergebnissen der aktuellen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe berät die schwarz-gelbe Koalition im Kanzleramt über die neuen Arbeitslosengeld-II-Sätze. Die Spitzenrunde beschließt, dass die rund 4,8 Millionen erwachsenen Hartz-IV-Empfänger monatlich fünf Euro mehr erhalten sollen – die Sätze also von 359 auf 364 Euro monatlich steigen. Die Sätze für Kinder bleiben unverändert. 8. Oktober 2010 Bei nächtlichen Verhandlungen einigen sich die Generalsekretäre von FDP und Union sowie die Fachpolitiker der Koalition mit Ministerin von der Leyen auf eine Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen. Arbeitslosengeld-II-Empfänger können damit künftig bis zu 20 Euro mehr von ihren Nebeneinkommen behalten. 20. Oktober 2010 Das Kabinett bringt die Hartz-Reform auf den Weg. Das Bildungspaket soll auch für Kinder von Geringverdienern zur Verfügung stehen. 3. Dezember 2010 Der Bundestag berät abschließend über die Neuregelung. 17. Dezember 2010 Der Bundesrat stoppt die Reform. Zünglein an der Waage ist das Saarland. Die Grünen haben die Jamaika-Koalition des Bundeslands zur Enthaltung bewegt. Noch am selben Tag tritt erstmals der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zusammen, um einen Kompromiss auf den Weg zu bringen. 20. Dezember 2010 Eine vom Vermittlungsausschuss eingesetzte Arbeitsgruppe beginnt ihre Verhandlungen. 21. Dezember 2010 Die Arbeitsgruppe vertagt sich bis zum 7. Januar. 3. Januar 2011 Sozialministerin von der Leyen verschickt eine 43 Seiten lange Antwort auf einen Fragenkatalog der Opposition zur Details möglicher Nachbesserungen. 7. Januar 2011 Die Arbeitsgruppe nimmt ihren Vermittlungsversuch wieder auf. Erstmals ist auch die Linkspartei zu diesen Gesprächen zugelassen. 7. Februar 2011 In einer mehr als neunstündigen Verhandlungsrunde kann sich die Arbeitsgruppe - wie bei mehreren vorhergehenden Terminen - nicht einigen. Nun wird die Zeit knapp: Am 11. Februar soll der Bundesrat erneut abstimmen. 9. Februar 2011 Nach erneuten Verhandlungen erklären beide Seiten die Gespräche für gescheitert. Trotzdem soll der Bundesrat am 11. Februar abstimmen – die Union hofft, dass etwa das Saarland mit seiner Jamaica-Koalition sich noch umentscheidet und dafür stimmt. 11. Februar 2011 Die Ministerpräsidenten entscheiden sich im Bundesrat, doch noch weiter nach einem Kompromiss zu suchen. 16. Februar 2011 Die Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD), Wolfgang Böhmer (CDU) und Horst Seehofer schlagen vor, den Regelsatz statt um fünf um acht Euro zu erhöhen. Aus der Union kommt Widerstand. Die geplante Verhandlung in größerem Rahmen wird erst einmal abgesagt. 21. Februar 2011 Regierung und Opposition einigen sich nach wochenlangem Streit auf einen Kompromiss. Der Regelsatz soll bis Anfang 2012 um insgesamt acht Euro erhöht werden. Quelle: dapd
Hier geht es zur Internetseite von Le Van Bo.
|
Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: semenivanov88 (01.06.2011)
W
|
Aufrufe: 428
| Rating: 0.0/0 |
|
|
Statistik |
Insgesamt online: 1 Gäste: 1 Benutzer: 0 |
|